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PR 2.0: Wiesenhof-Chef kocht Bloggerin

Upsi, da hab ich doch glatt das „mit“ vergessen: „Wiesenhof-Chef kocht mit Bloggerin“… naja egal, was tut man nicht alles für die Aufmerksamkeit…

Ungewöhnliches ist passiert – und ich muss an dieser Stelle voraus schicken, dass es im folgenden NICHT um die Zustände bei der Firma Wiesenhof geht. Da habe ich meine ganz eigene Meinung dazu – und jeder möge sich seine bilden. Aber der Hähnchen-Betrieb „Wiesenhof“ steht schon geraume Zeit in der Kritik, nicht erst seit der Ausstrahlung der ARD-Reportage Ende August.

Dann stolperte ich jedoch in der Marketing-Zeitschrift  w&v über die Meldung, dass Wiesenhof-Chef Paul-Heinz Wesjohann sich mit der Bloggerin Sina Trinkwalder zum Kochen getroffen hat. Das wäre nun nicht ganz so weltbewegend, hätte Trinkwalder nicht im Rahmen ihres Blogs „manomama“ zuvor einen offenen Brief an Wiesenhof und Wesjohann veröffentlicht:

„Darf ich ehrlich sein? Ich bekam Mitleid. Da sitzt ein erfahrener, alter Unternehmer, und das darf man bei 50 Jahren Hühnerengagement sicherlich sagen, auf einem hölzernen Stuhl – und zeigt vor laufender Kamera, was am Ende herauskommt, wenn man jahrelang neokapitalistisch und rein wachstumsorientiert wirtschaftet: Sie haben Ihre Zahlen im Griff. Ihren Laden, so scheint es, längst nicht mehr. Und die von Ihnen propagierten Werte stecken tief in der – richtig, Hühnerkacke.“

Natürlich wurde dieser Blog-Eintrag diskutiert und kommentiert, doch auf einmal tauchte dort folgender Kommentar auf:

Sehr geehrte Frau Trinkwalder,
vielen Dank für Ihren offenen Brief, den ich eben gelesen habe. Ich sehe die Dinge erfahrungsgemäß anders als Sie. Ich habe einen Vorschlag, da ich weniger häufig Blogkommentare schreibe: Lernen Sie uns kennen und urteilen Sie selbst über Tierhaltung, Arbeitsbedingungen und die Menschen bei Wiesenhof. Egal ob bei Ihnen in Bayern oder hier in Niedersachsen.

Herzliche Grüße
Paul-Heinz Wesjohann

Und in der Tat, die beiden trafen sich, kochten miteinander und tauschten sich lange über Aufzucht und Haltung von Hühner aus:

 

Sina Trinkwalder ist als „etablierte“ Bloggerin über den Vorwurf erhaben, sie habe sich hier vor den Karren der Wiesenhof-PR spannen lassen. Bemerkenswert finde ich vielmehr, dass hier der Chef selbst (anscheinend – vielleicht kam der Kommentar ja auch nur von einem PR-Mitarbeiter) Äußerungen über das Unternehmen im Social Media Bereich nicht nur mitverfolgt, sondern sich auch dazu äußert.  Und sich dann nicht der Presse stellt, sondern in der Tat sich mit der Bloggerin trifft und seinen Standpunkt äußert – natürlich wohlwissend, dass der Mitschnitt via Youtube seine Verbreitung finden wird. Die muss noch nicht einmal zahlenmäßig groß sein – es reicht aus, wenn zuvor eher ablehnend eingestellte Kritiker damit erreicht und in ihrem Denken über Wiesenhof bereichert werden.

Eine neue Qualität der Öffentlichkeitsarbeit findet hier statt: Jenseits von Pressekonferenzen und Erklärungen in den klassischen Medien macht es durchaus immer mehr Sinn, sich kleinteilig, aber zielgruppengerecht in Position zu bringen. Und natürlich darf das nicht die Aufgabe smarter und aalglatter PR-Berater sein, sondern der Chef muss eben selber ran, wenn es mit der Glaubwürdigkeit stimmen soll.

Wiesenhof wird dadurch sicherlich nicht zu einem besseren Unternehmen – aber es zeigt eine andere, menschlichere Seite. Und es zeigt, dass es nicht nur zuhört, sondern auch Stellung bezieht. Und manchmal kann die Auseinandersetzung mit einer kritischen Bloggerin sinnvoller sein als Pressevertretern…

Abschließend wirft dies nun jedoch noch die Frage auf, wo es hingeht mit den journalistischen Grundsätzen des letzten Jahrhunderts. Was zählt das Rüstzeug des gelernten „Reporters“ noch, wenn immer mehr Bereiche von Bloggern abgedeckt werden – und diese auch eine wachsende Wertschätzung von „offizieller“ Seite erfahren?

Es bleibt spannend…

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